Für einen Artikel von Robert Scotton zum selben Thema (französisch), siehe hier.
Hier geht es um die Frage: „Wie finde ich das Alphorn-Mundstück, das optimal zu mir und meinem Alphorn passt?“ Das ist kein Thema für Anfänger/innen! Zu Beginn der Alphornkarriere fühlt sich das Mundstück ungewohnt an, und es fehlen die Bezugsgrössen, um subjektive Eindrücke einzuordnen. Die ersten paar Jahre sollte man darum auf das Herumexperimentieren verzichten. Besser, man legt sich auf ein „Durchschnitt“-Mundstück eines renommierten Herstellers fest und bleibt erst einmal dabei. Grösse 18mm dürfte fast allen passen (die verbreiteten Empfehlung liegen zwischen 17.5-18.5mm). Es lohnt sich aber, die Sache im Einzelfall mit einer kompetenten Lehrperson anzuschauen – insbesondere bei ungewöhnlichen Lippenformen, Kiefer- und Zahnstellungen oder wenn neben dem Alphorn ein Blechblasinstrument gespielt wird.
Nach einigen Jahren stellt sich die Frage erneut. Vielleicht hat das gewohnte Mundstück sein Ablaufdatum erreicht oder ist verloren gegangen? Oft geht es auch um Optimierung: ein neues Mundstück soll dieses oder jenes Problem lösen. Im Vordergrund steht oft der Wunsch nach mehr Höhe, Ausdauer oder Volumen; manchmal soll das Mundstück auch den persönlichen Alterungsprozess kompensieren. Zeit, sich mit den Grundlagen des Mundstücks genauer zu befassen.
Bei Blechblasinstrumenten werden die Lippen als Generator und das Alphorn als Resonator beschrieben. In diesem Modell ist das Mundstück das Bindeglied, das die Schwingungen von den Lippen an die Luftsäule im Rohr weiterreicht. Im Detail ist die Sache etwas komplexer: Der Kessel des Mundstücks wirkt akustisch als Helmholtz-Resonator, mit der Luft im Kessel als elastische Feder. Der Resonator hat mehrere spezifische Eigenfrequenzen (der stärkste davon etwa im Bereich g“ des Alphorns; hörbar, wenn man den offenen Kessel auf die hohle Hand schlägt). Die Resonanzen akzentuieren die Eingangsimpedanz des Alphorns (Ansprache), verschieben die Intonation und heben die Obertöne hervor (runderer Klang). Blaswiderstand im Kessel und Rückkopplungen der Schwingungen auf die Lippen erleichtern zudem das Spiel in den höheren Lagen. Ergonomisch grenzt der Rand des Mundstücks schliesslich den vibrierenden Teil unserer Lippen ein und ermöglicht so eine präzisere Kontrolle von Spannung und Tonhöhe. Insgesamt erfüllt das Mundstück somit mehrere wichtige Funktionen (hier eine technische Abhandlung zum Stand der Wissenschaft).
Verschiedene Mundstück-Parameter beeinflussen das Resultat. In der folgenden Tabelle eine Zusammenstellung gemäss Fachliteratur (z.B. hier):
Parameter | Wirkung |
---|---|
Kesseldurchmesser (D) | Grosser D = einfacher und voluminöser in der Tiefe (zu gross: keine Höhe, Intonationsprobleme, flacher Ton, mangelnde Flexibilität); kleiner D = einfacher in die Höhe. (zu klein: mangelndes Volumen und Ausdauer). Grosse Lippen = grösseres D. Manchmal auch „Weite“ oder einfach „Grösse“ genannt. |
Tiefe (T) | Grosse T = grosser Klang in der Tiefe, kleine T = Klang in der Höhe. |
Kesselform | V-förmig = gerichtet, klarer und warmer Klang, unterstützt in der Höhe; U-förmig = breit, frecher Klang. |
Kesselvolumen | Definiert durch D, T und Kesselform. Grosses Volumen = voller Klang, benötigt aber mehr Power & offene Luftführung (Zunge / Gaumen). |
Randbreite (R) | Breiter R = positiv für Ausdauer, ideal für schmale Lippen; enger R = positiv für Flexibilität und Virtuosität, ideal für fleischige Lippen. |
Übergang Rand zu Kessel | Grenzbereich wird auch „Biss“ genannt. Rund / sanft = positiv für Legato, Ansprache; eckig /scharf = positiv für Staccato, perkussiver. |
Durchmesser Bohrung (B) | Norm ca 4.5mm. Kleines B = hoher Blaswiderstand. Zu wenig Blaswiderstand = unsaubere Intonation v.a. in der Tiefe und mangelnde Höhe. Zu viel Blaswiderstand = schwaches Volumen, Luftweg schliesst. |
Übergang Kessel zu Bohrung | Komplexer Einfluss auf Klangqualität und Ansprache. [Geheimnis der Mundstückbauer Teil I] |
Seele (zylindrischer Teil, E) | Trägt zum Blaswiderstand bei. |
Rückbohrung (konischer Teil, S) | Verlauf hat Einfluss auf Blaswiderstand und Klangqualität. [Geheimnis der Mundstückbauer Teil II] |
Material | Maulbeerbaum, Olive, Rosenholz, Obstbäume = weicher Klang. Ebenholz = harter Klang. Metall = sehr brilliant. |
Masse | Mehr Masse = Ton zentrierter |
Gesamtlänge (G) | Bestimmt, je nach dem wie weit das Mundstück ins Fässchen gesteckt wird (L), die akustische Länge und Stimmung des Alphorns (muss zum Instrument passen) |
Konus (α) | Passend zum Fässchen. CH Standard = 3°. Ausnahmen Stocker (Morse-Konus), Bugada, Neumann… |
Wie gross diese Effekte im Vergleich zum Gesamtbild sind, ist jedoch umstritten. Fritz Frautschi, der Doyen der Alphornmundstück-Hersteller äussert sich zurückhaltend. Der Einfluss der Kesselweite sei klar, der Rest eher im marginalen Bereich. Das gilt auch für die verwendete Holzart, welche die meisten seiner Kunden aufgrund ästhetischer Kriterien wählen – vielleicht mit Ausnahme des wahrnehmbar brillianteren Klangs von Ebenholz. Gewisse Blechbläser-Themen liessen sich zudem nicht direkt auf’s Alphorn übertragen. Beispielsweise den postulierten Effekt des Innenrandes (Legato vs Staccato), hält Frautschi im Kontext des Alphorns für wenig relevant, weil das Alphorn generell weicher anspricht und dieser Charakter auch gewünscht ist. Aus diesem Grund gibt er auch der V-Form den Vorzug, deren Klang er als weicher und klarer beschreibt – im Vergleich zum „kächen“ (frechen) Klang der U-Form. Bei den meisten Parametern gehe es aber letztlich nur um kleine Kompromisse: eine Spur mehr Kraft in der Höhe gegen marginal weniger Sound in der Tiefe. Objektiv „besser“ und „weniger gut“ entscheidet sich dagegen an wenigen kritischen Stellen: dem Übergang zwischen Kessel und Seele und dem Verlauf der Rückbohrung.
Betreffend Fertigungsqualität arbeiten die meisten Hersteller heute mit CNC-Maschinen, welche auf den 1/1000 Millimeter genau fräsen. Frautschi – selber seit 30 Jahren mit CNC unterwegs – betont aber, dass nach Schleifen und Lackierung die Genauigkeit eher bei wenigen 1/100 Millimetern liegt. Erfahrende Bläser/innen können solche Abweichungen vor allem am Mundstückrand als irritierend wahrnehmen. Völlig identische Mundstück-Klone existieren nicht.
Welcher Weg führt nun zum optimalen Mundstück? Für Blechbläser gibt es individuelle Mundstück-Coaching-Angebote. So beispielsweise bei Marco Weber von blaswerk haag in Weinfelden zum Pauschalpreis von 150 CHF. Das blaswerk hat nach eigenen Angaben in 25 Jahre 1000 Mundstückanalysen durchgeführt und hält über 1000 Mundstücke an Lager (allerdings keine Alphorn-Mundstücke). Webers Vorgehen ist Problemlösungs-orientiert: Sage mir, was du verbessern willst und ich drehe am entsprechenden Parameter. Wer weiter in die Höhe will, probiert ein kleineres Mundstück oder eine engere Bohrung. Wem die Ausdauer fehlt, versucht einen breiteren Rand. Für einen volleren Sound, versucht man ein grösseres Kesselvolumen. Und so weiter. Weber ist sich bewusst, dass er einen Spagat zwischen Coach und Verkäufer macht. Fast immer liegen die Probleme nämlich nicht am Mundstück, sondern an der Blastechnik. Letztlich gibt es auch keine eierlegende Wollmilchsau: die schnelle Verbesserung da bezahlt man mit Abstrichen dort. Immerhin erstehen 80% seiner Kunden nach dem Coaching ein Mundstück, von dem sie glauben, es sei der bessere Kompromiss.
Vergleichbare Angebote mit Zugang zum Gesamtmarkt aus einer Hand gibt es für Alphornbläser/innen nicht. Bei mehreren Herstellern (z.B. Frautschi, Bernatone, Aebi, Bachmann, helvetic) kann man verschiedene Modelle und Grössen auszuprobieren. Wer Mundstücke mehrerer Hersteller testen möchte, wird bei den Alphornshops, beispielsweise resunar, fündig. Ich vermute, dass solches Mundstückshopping erfolgreich sein kann, wenn man sich vorher genau überlegt, was man mit der Veränderung zu erreichen sucht, an welchem Parameter man schrauben möchte, und was die Abstriche bei diesem neuen Kompromiss sind.
Zentral bleibt eine realistische Erwartung: kein Mundstück wird irgendein fundamentales blastechnisches Problem lösen. Im besten Fall erreicht man eine kleine Verbesserung in einem bestimmten Bereich. Einen soliden Ansatz kann man eben nicht kaufen.
Herzlichen Dank an Fritz Frautschi, Sami Lörtscher und Marco Weber für die breitwillige Unterstützung bei diesem Artikel. Deine Meinung? Die Kommentare unten sind offen! [Update zur ursprünglichen Version: Kesseldurchmesser statt vorher „Weite“ (Hinweis Fritz Frautschi); Gesamtlänge als Parameter hinzugefügt (Hinweis Gérald Pot).]
Lieber Benno
Danke für die schöne Recherche. Meine Phylosophie sieht ein ideales Zusammenspiel zwischen Alphorn und dem Mundstück, dem sich der/die Bäser:in anpassen kann. Ergänzend zu beachten und jedenfalls klangbestimmend ist der Abstand zwischen dem Mundstück und der zylindrischen etwa 10 – 12 cm langen Alphorn Seele. Zwischen Konus des Mundstücks bis zum Auftreffen in den Kanal der Alphornseele entsteht eine leichte Luftkompression. Wird der Abstand verkleinert, sinken der Anblaswiderstand und die Klang Qualität. Wird er verlängert erhöht sich Grösse des Kompressionsraums und es braucht minimal mehr Luftstütze, der Klang wird stabiler.
Lieber Matthias,
Danke für deine Beobachtungen. Das Mundstück hilft unsere Klangvorstellungen in Ressonanz mit dem Horn klingen zu lassen. Ein Wunder, dass es mit dem Mundstück so gut funktioniert. Das perfekte Mundstück gibt es nicht. Die Erfahrungen der Alphornbauer und unserer Lehrer helfen uns das einzig passende Mundstück zu finden.
Hallo Benno
Nochmals Danke für diese Informationen. Das „richtige“ Mundstück unterstützt uns sehr beim Spiel auf dem Alphorn oder Büchel. Kürzlich kaufte ich über Ricardo einen B-Büchel mit einem Alphorn-Mundstück. Bis zum G12 gelang das Spiel auf Anhieb. Beim ersten gemeinsamen Büchel spielen, kaufte ich ein Büchel Mundstück von Emmenegger. Nun konnte ich auch die hohen Töne 13, 14, 15 bis zum C16 spielen.
Ich wundere mich nicht mehr, weshalb der Vorbesitzer des Büchels kaum darauf gespielt hatte. Die Wahl des Mundstücks scheint entscheidend für die Freude mit unseren Blasinstrumenten.