Alphorn-Rāga

Dass Geheimnis des Alphorn-Gänsehauteffekts liegt in der reinen Stimmung der Naturtöne. Es gibt aber auch andere Musiksysteme, welche mathematisch perfekte Intervalle verwenden. Besonders erwähnenswert ist die klassische indische Musik mit ihren Ragas. Die Frage steht darum im Raum: Inwiefern ist die musikalische Grammatik der klassischen indischen Musik mit dem Alphorn kompatibel?

Analog zum westliche Musiksystem verwenden Ragas 7-stufige Tonleitern . Unser Do-Re-Mi-Fa-So-La-Si-Do kann dem Sa-Ri-Ga-Ma-Pa-Dha-Ni zugeordnet werden. Pro Stufe stehen jedoch nicht ein oder zwei Halbtonschritte, sondern vier Shruti zur Verfügung (Ausnahme S und P mit nur einem Shruti). Die Distanz von einem nächsten Shruti alternieren zwischen 90.2Cts (=256/243), 70.7Cts (=25/24) und 21.5Cts (=81/80). In der Tabelle unten habe ich das Shruti-Alphabet zusammengefasst. Die ersten drei Spalten zeigen die Tonstufen und möglichen Shruti. Die Spalte „Intervall“ zeigt das exakte Frequenzverhältnis zum Grundton und die Spalte rechts davon die Umrechnung in Cents [Cts = 1200*log_2(Intervall)]. Aus dieser Spalte ist direkt ersichtlich, dass ausser dem Grundton kein Shruti mit der gleichstufigen Stimmung übereinstimmt; am nächsten kommen R2 (3.9 Cts über D), P (2 Cts über g), und n1 (3.9 Cts unter B). Die Übereinstimmung mit der Naturntonleiter ist besser. Die letzte Spalte zeigt die spielbaren Naturtöne. Demnach gibt es für den 1., 2., 3., 4., 5., 6., 8., 9., 10., 12., 15. und 16. Naturton ein passendes Shruti. Prominent abwesend sind der Ton B (7. & 14. Naturton, 968.8 Cts über dem Grundton) und das Alphorn-Fa (11. Naturton, 551.3 Cts).

StufeStufeShrutiIntervallCtsNaturton
I / DoSaS1/10,0C (1, 2, 4, 8, 16)
II / ReRi / Rer1256/24390,2
r216/15111,7
R110/9182,4
R29/8203,9D (9)
III / MiGag132/27294,1
g26/5315,6
G15/4386,3E (5, 10)
G281/64407,8
IV / FaMaM14/3498,0
M227/20519,6
m145/32590,2
m2729/512611,7
V / SoPaP3/2702,0G (3, 6, 12)
VI / LaDhad1128/81792,2
d28/5813,7
D15/3884,4
D227/16905,9
VII / SiNin116/9996,1
n29/51017,6
N115/81088,3H (15)
N2243/1281109,8
VIII / DoSaS2/11200,0C (1, 2, 4, 8, 16)

Wild durcheinander gemischte Töne machen noch keine Musik. Das gilt auch für Ragas. Die Beziehung zwischen den Harmonieregeln und Shrutis ist jedoch sehr eng: im Gegensatz zur westlichen Musik in gleichstufiger Stimmung lassen sich mit den Shrutis mathematisch elegante Intervalle konstruieren. Dabei bauen sämtliche Intervalle auf perfekten Terzen und Quinten auf. Die Tabelle unten zeigt das Prinzip mit Tonika (Sa, S) und Dominante (Pa, P) in der Mitte. Jeder Schritt nach rechts entspricht einer perfekten Quinte (3/2), jeder Schritt nach oben einer perfekten Terz (5/4). Die in einer spezifischen Raga verwendeten Shrutis folgen dabei zwei einfachen Regeln: jede Tonstufe kommt nur in einer Version vor (d.h. die Tonleitern bestehen aus bis zu 7 Shrutis mit nur einem Shruti pro Tonstufe) und die ausgewählten Shruti liegen in der Tabelle neben- oder übereinander (d.h. S-R2-G1-m1-P-D1-N1 ist ok, aber nicht S-r1-G1-m1-P-D1-N1).

R1D1G1N1m1r1d1g1n1
r1d1g1n1M1SPR2D2G2N2m2
D2G2N2m2r2d2g2n2M2

Und was bedeutet das nun für das Alphorn? Es bedeutet, dass in der Begleitung von Ragas relativ viele Naturtöne zur Verfügung stehen. Liegt die Tonika/Sa auf der Stimmung des Alphorn, dann stehen in der Tabelle oben die fünf unterstrichenen Shruti zur Verfügung – alle anderen Naturtöne sind Blue Notes. Möglich ist auch, eine Raga zu begleiten, wenn Sa der Dominante des Alphorns entspricht (d.h. dem „G“). P wird dann zum „D“ und der Grundton des Alphorns entspricht dann M1.

In der Praxis wiederum bedeutet dies: sofern der Grundton S der Raga auf der Tonika oder der Dominante des Naturtoninstruments gewählt wird, lässt sich die Raga – mit mehr oder grossem Tonmaterial – harmonisch begleiten.

Diese Erfahrung kann jeder Alphornspieler ganz einfach machen: auf dem Internet sind elektronische Tanpura erhältlich. Siehe Abbildung im Beitragbild und z.B. erhältlich beim Hersteller in Indien. Ich habe seit etwa zwei Jahren eine solche Box und improvisiere immer wieder gerne dazu – zum Spass oder gezielt als Training für das harmonische Gehör. Hier ein kurzes Beispiel:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert