Naturtöne in 432Hz

Seit 1975 gilt der ISO Standard 16-1975 (hier kann man ihn für 40 CHF kaufen). Er legt den Kammerton a1 bei einer Frequenz von 440Hz fest. Schon 1939 wurde diese Stimmung an einer Konferenz in London vereinbart und von der ISO 1955 als Empfehlung unterstützt. Mit der Verabschiedung als Standard wurde die Vereinheitlichung besiegelt und damit der musikalische Austausch und der Handel von Musikinstrumenten und Audio-Ausrüstung gefördert.

Bereits in den 1980ern formierte sich eine Szene, welche den Standard ablehnte und die alternative Stimmung a1=432Hz propagierte. Manchmal war auch die Rede von „wissenschaftlicher Stimmung“ c1=256Hz – unter pythagoräischer Stimmung sind die beiden identisch (zwischen c und a liegen drei reine Quinten); bei gleichstufiger Stimmung entspricht a1=432Hz einem um 5.9Cts höheren c1=256.86Hz [siehe Anhang unten für mathematische Herleitungen]). Die Szene ist bis heute auf diversen Webseiten (z.B. hier), Telegram- und Youtube-Kanälen präsent. Es gibt sogar Apps, mit denen man die eigene Musikbibiliothek auf 432Hz heruntergetuned hören kann. Auf dem Alphorn ist die Idee in Form von 432Hz-Adaptern angelangt. Frage: Was ist davon zu halten? Hier eine Auslegeordnung der Argumentationslinien für 432Hz:

  1. Belcanto und historische Praxis: Die ersten Exponenten der 432Hz-Bewegung waren OpernsängerInnen. An einer viel beachteten Konferenz des Schiller Instituts 1988 erklärten ein Bariton und eine Sopranistin, wie die hohe Stimmung den Belcanto vor Probleme stellte. So habe Verdi seine Musik für etwa 430Hz geschrieben; Registerwechsel und damit verbunden die Klangfarbe seien mit den musikalischen Phrasen im Einklang gestanden. Unnatürliche Wechsel und Tonhöhen gingen über die Zeit an die Gesundheit der KünstlerInnen. Die Forderung nach einem tieferen Kammerton zur Schonung von SängerInnen und Instrumenten wurde von über 2’000 bekannten Künstlern unterzeichnet. Allerdings kann man dies am ehesten als Plädoyer für die „historische Praxis“ interpretieren: historische Werke sollten in der Stimmung und den Instrumenten ihrer Zeit aufgeführt werden.
  2. Naturwissenschaftliche Schwingungen. Demnach widerspiegelt c1=256Hz in der Natur beobachtbare Frequenzen. Oft erwähnt wird die Schumann Resonanz. Otto Schumann hat 1956 nachgewiesen, dass Erdoberfläche und Ionosphäre einen Hohlraumresonator für elektromagnetische Wellen bilden, dessen fundamentale Eigenfrequenz 7.83Hz beträgt. Oktaviert man diese Frequenz fünf mal, landet man bei 250.5Hz; dieser Wert entspricht ungefähr einem c1=256Hz. Allerdings ist die Vermischung von elektromagnetischen Wellen und Schall problematisch und die Abweichung von 37Cts passt nicht zur Idee der reinen Harmonie. Dasselbe gilt für die Beobachtung, dass die DNA elektromagnetische Wellen 42 Oktaven über 256.54Hz aussendet.
  3. Kosmologie: Rudolf Steiner betrachtete Musik im Zusammenhang der nicht-hörbaren kosmischen Ordnung. Als Basis der Stimmung gilt der tägliche Sonnenzyklus. Erhöht man die Grundfrequenz (1 „Schwingung“ pro Tag) um 22 Oktaven, 3 Quinten und 2 Terzen, landet man auf c1=256Hz. Dieser Logik folgend brummt die Erde in einem „g“ – allerdings nicht in der aufsteigenden reinen Quinte sondern in einer Kombination von drei Quinten und zwei Terzen. Das ergibt ein sehr kompliziertes, kaum als harmonisch identifizierbares Frequenzverhältnis von 675/512 (höre hier). Ähnliche kosmologische Argumente lassen sich noch weiterspinnen. Entscheidend bleibt die Frage, ob wir die Bewegung von Himmelskörpern tatsächlich als Schwingungen wahrnehmen.
  4. Numerologie: Gelegentlich wird a1=432Hz propagiert, weil 432 eine „besondere“ Zahl sei – 4×108! Ähnliche Argumente gibt es für 256. Manchmal wird auch eine Verbindung zur Fibonacci-Reihe gezogen (dabei sind weder 256 noch 432 Teil der Fibonacci-Zahlen). All diese Argumente haben ein Problem im Nenner: Hz basieren auf Sekunden, und die Unterteilung der Zeit in Sekunden ist – musikalisch gesprochen – vollkommen willkürlich.
  5. Effekt auf Materie: Gerne wird das Schwingungsverhalten von Materie bei unterschiedlichen Frequenzen visualisiert (Kymatik). Die verbreiteten Bilder sehen bei 432Hz optisch schöner aus als bei 440Hz. So ist die Sonne im Titelbild dieses Beitrags aus einer viralen Foto entnommen, welche die Wasseroberfläche bei 432Hz zeigen soll. Andere Visualisierungen arbeiten mit Sand. Allerdings sind kymatische Bilder immer das Resultat des Resonanzraumes, d.h. je nach Grösse und Masse der Schale/Resonanzfläche passt eine andere Frequenz.
  6. Verschwörungstheorien: Zur Vollständigkeit sei hier erwähnt, dass einige Exponenten a1=440Hz ablehnen, weil der Standard von den Nazis und den Rockefellers zur Unterdrückung der Menschheit installiert worden sei. Solche Verschwörungstheorien haben keine historische Basis. Eine kurze Zusammenfassung über die Geschichte der Verabschiedung von ISO 16 findet man hier.
  7. Subjektive Empfindungen und Gesundheit: Bleibt die Frage, wie 432Hz auf die Menschen wirkt. Schon in den 1980ern zeigte die Studie einer anthroposophischen Forscherin, dass die meisten Menschen im direkten Vergleich dasselbe Stück mit in 432Hz gegenüber 440Hz als wärmer empfinden. Die Studie wird bis heute trotz zahlreicher methodischer Probleme zitiert. Empirisch lässt sich zeigen, dass eine Veränderung der Stimmung (evt auch eine Verlangsamung) zuerst einmal als positiv empfunden wird – 432Hz wirkt im ersten Eindruck wärmer als 440Hz, aber dann wirkt auch 415Hz wärmer als 432Hz (bemerke: eine Veränderung des Kammertons von 440Hz auf 415Hz ist identisch zu einer Transponierung um einen Halbton nach unten). Weiter zeigen jüngere Studien, dass wir eine genauere Pitch-Erinnerung haben als bisher angenommen (Levitin Effekt) und die Präferenz für jegliche Art tieferer Stimmung darum auch ausserhalb eines direkten Vergleichs spielt. Studien zur Verarbeitung von Musik im Gehirn kommen klar zum Schluss, dass bei der Musikwahrnehmung die Intervalle dominieren – kein stabiler Effekt der Stimmung. Das ist kohärent mit drei Jahrtausenden Musiktheorie von Indien und Ostasien via Pythagoras bis zu unterschiedlich gestimmten Alphörnern – wie hätte man denn vor dem 20. Jahrhundert die Frequenz bestimmen sollen? Auch bei unbewussten Effekten auf die Gesundheit sind die Meinungen geteilt. Einzelne (kleine) Studien versuchen, einen positiven Einfluss von Musik in 432Hz auf das Herz, physiologischen Reaktionen beim Zahnarzt oder die subjektive Zufriedenheit nachzuweisen; es gibt jedoch auch Studien, die keinen solchen Zusammenhang bestätigen können. Unbestritten bleibt damit lediglich, dass die Anhänger von 432Hz beim Hören von heruntergestimmter Musik subjektiv positivere Empfindungen erleben – wer daran glauben will, schafft sich seine Realität.

Irgendwie ist diese Diskussion unbefriedigend. Hieb- und stichfest sind die zahlreichen Argumente für 432Hz und 256Hz allesamt nicht. Trotzdem ist die Idee einer universellen Grundfrequenz ausgesprochen faszinierend. Ich würde sehr gerne auf dem Alphorn in einem meditativen Zustand Töne blasen, zu denen das Universum und die Materie harmonisch mitschwingen. Legen wir also die Zweifel für einen Moment auf die Seite und nehmen an, es gibt tatsächlich eine universelle Harmonie-Frequenz bei 432Hz bzw. 256Hz. Was würde dies für das Alphorn bedeuten?

432Hz liegen 32Cts unter 440Hz. Für diese Stimmung muss man das Alphorn durch Auseinanderziehen oder mit einem Adapter 1.85% verlängern – ein Fis-Horn um 6.5cm, ein F-Horn um 6.8cm. Auf 442Hz gestimmte Hörner müssen um 40Cts heruntergestimmt werden und brauchen darum einen längeren Adapter (2.3%, also 8cm bzw 8.5cm). Zielt man auf c1=256Hz kommen nochmals 6Cts (ca. 1.2cm) dazu. Das ergibt mindestens 8 unterschiedliche Adapter-Modelle! Um immer in perfekter Harmonie zu sein, müsste man das Alphorn zudem je nach Lufttemperatur und Luftdruck nachstimmen – ohne die blastechnischen Herausforderungen anzusprechen.

Allerdings hat man so nur erst den Kammerton gestimmt. Alphornmusik besteht aus den spielbaren Naturtönen, deren Frequenz vom Fundamentalton des Alphorns abhängen. F liegt 7 Halbtöne unter C. Um daraus eine reine Quinte zu machen, könnte man den Adapter nochmals um 4mm verlängern. Damit würde man reine Intervalle für die (notierten) C, G und D erreichen, aber nicht für die anderen spielbaren Naturtöne. Komplizierter wird der Fall bei Fis-Hörnern. Das klingende c und a kommen in der Naturtonleiter in Fis gar nicht vor. Bei einem Fis-Horn mit Adapter stehen also weder der Grundton noch irgend ein anderer spielbarer Oberton in einem harmonischen Verhältnis zu c1=256Hz oder a1=432Hz! Schlimmer noch: in der kosmologischen Argumentationslinie wird auch von kosmischen Registerwechseln gesprochen; statt in den Einklang mit dem Sonnensystem, wird das Fis-Horn in a1=432Hz gemäss dieser anthroposophischen Logik direkt in den Meteoritengürtel transponiert. Hier sehe ich ein Konsistenz-Problem: Die 432Hz-Szene ist auf die Stimmung des Kammertons fixiert, lässt aber dann die Fragen zur reinen Stimmung und den Tonarten völlig zur Seite. Dass ein Naturton-Instrument wie das Alphorn via gleichstufige Stimmung auf einen nicht-intonierbaren Kammerton gestimmt werden soll, zeigt die inneren Widersprüche des 432Hz-Adapters…

Die Alternative zu Adaptern wären spezifisch gebaute Instrumente. Auf der Hand liegt ein Alphorn in A mit Stimmung a1=432Hz (Länge ca. 3m und damit in der Nähe vieler historischer Alphörner…) oder ein Büchel in C mit leicht tieferer Stimmung c1=256Hz (ein „Sonnenbüchel“) oder c1=250.5Hz (eine „Schumann-Resonanz-Büchel“). Es wäre sehr interessant, die Wirkung solcher Instrumente zu erproben.

Anhang – Mathematische Herleitungen

  • In der gleichstufigen Stimmung entspricht ein Halbtonschritt dem Faktor 2^(1/12). Von a1=432Hz gelangt man deshalb zu c1=432Hz*2^(-9/12)=256.86Hz.
  • Ein Tag hat 24*60*60=86’400 Sekunden. Wenn c1=256Hz pro Sekunde 256mal schwingt, schwingt dieses c1 pro Tag 256*86’400=22’118’400mal. Die Umwandlung in Intervalle geschieht mittels Faktorzerlegung. 22’118’400=2^15*3^3*5^2=2^22*[3/2]^3*[5/4]^2, also 22 Oktaven, 3 Quinten und 2 Terzen.
  • Wenn c1=256Hz, dann landet man 5 gleichstufige Halbtöne darunter bei g=191.78Hz. Das entsprechende g der Erde liegt 24 Oktaven über 1 Umdrehung / Tag, also 2^24/86’400 = 194.18Hz. Abweichungen in Cts berechnen sich mittels ln(F1/F2)/ln(2^(1/1200)). Somit beträgt die Differenz zwischen 194.18 und 191.78Hz: ln(194.18/191.78)/ln(2^(1/1200)=21.5Cts.
  • Zur Berechnung der Adapter gilt L_2 =L_1*f_1/f_2. Wenn f_1=440Hz und f_2=432Hz, entspricht L_2=L_1*440/432=L_1*1.0185 (also +1.85%).

6 Kommentare

  1. Hallo.
    Ich bin letztes Jahr mit der Kammertonfrquenz a1=432Hz in Verbindung gekommen, in Bezug auf meine Alphornsoli mit Begleitung einer älteren Orgel und habe mich daraufhin mal informiert.
    Denn diese Frequenz ist viel natürlicher, regt die Emotion des Zuhörers an, währenddem 440 und darüber eher stressige Gefühle bewirken.
    Aber darüber könnte man noch viel berichten… dass z.B. bereits im 19. Jahrhundert die Geiger in höhere Frequenzen gestimmt haben um besser gehört zu werden.. etc.

  2. Interessanter als die Diskussion A=432 Hz, scheint mir der praktsche Versuch: Ein Alphorn mit einem Grundton C1 = 54 Hz, C4 = 108 Hz, C8 = 216, C16 = 432 Hz. Vielleicht klingen die spielbaren 16 Naturtöne besonders harmonisch. Die Obertöne schwingen weiter und entschwinden rasch im für unsere Ohren unerhörten Klanguniversum.

  3. Die Diskussion mit A=432 Hz scheint müssig. Meine Frage ist eher wie intonieren die Alphornbauer unsere Ges-Hörner, damit die Naturtonleiter vom Grundton C1 bis zum C16 schön klingt? Unsere Ohren sind an die chromatische Stimmung gewohnt, vielleicht auch ein bisschen verdorben. Heute beim singenden Klangbaden in einer Kirche, fragte ich mich auch nicht wivel Hz der Kammerton A wohl haben möge. I achtete auf die Schwebungen des Gesamtklanges in der Gruppe und im Kirchenraum. Das Alphorn hat einen definierten Grundton zum Beispel Ges. Im Zusammenspiel in einer Gruppe von Hörnern aus verschiedenen Werkstätten soll ein schöner geinsamer Klang erklingen.

  4. Vielen Dank für die interessanten Berechnungen. Für mich als Spieler ist das Zusammenspielen mit anderen Musikern und dem Raum entscheidend.
    Je tiefer der Ton desto mehr Obertöne kann er fassen.

    Ich weiss nicht wie die Schwingen des menschlichen Organismus messbar sind. Atem-Frequenz, Herzschlag, Lidschlag, Haarwuchs, elektrische Schwingungen. Es scheint Verbindungen zu geben.

    Instrumentenbauer suchen die Ideale Mischung zwischen Resonanz und dem Material. Jedem Material wohnt in seinem entsprechende Resonanz-Körper wahrscheinlich die ideal schwingende Grundfrequenz inne.

    Im klassisch indischen Gesang, passen sich die Begleimusiker:innen mit Instrumente dem maximalen Wohlklang des Grundtons des:r Sänger:in an.

    Ich plädiere dafür, dass wir uns weiter suchend begegnen, das spitzt die Ohren 🎶!

  5. Ich habe mich im Zusammenhang mit dem Alphornbau intensiv mit der Materie beschäftigt und biete auch ein Rohr an, mit dem man 432 Hertz statt 440 spielen kann. Wenn ich alte Musik auf dem historischen Hirtenhorn spiele, z-b- Leopold Mozart etc. verwend ich selbstverständlich historische Stimmungen, die noch tiefer als 432 sind. Das lässt sich dann natürlich leichter blasen und klingt auch entspannter. Ich habe eine CD mit den gleichen Stücken 440 und 432 eingespielt, die 440er gefällt mir allerdings besser. Es gibt hier meiner Meinung nach kein richtig oder falsch: suum cuique – jedem das seine , was ihm besser zusagt.
    Frant Schüssele

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