Alphornmusik als „Geblasener Jodel“

Das Alphornspiel wird in der Geschichte verschiedentlich als «geblasener Jodel», als «Jodeln auf dem Instrument», oder als «auf dem Alphorn jodeln» beschrieben. Was ist darunter zu verstehen? Einerseits klingen darin die ähnlichen Kontexte an, in denen gejodelt und Alphorn gespielt wurde, namentlich in den Alpen beim Hüten des Viehs und als Kommunikationsmittel über weitere Distanzen, aber auch zur Unterhaltung an Festen und an Wettbewerben, wie sie bereits 1805 auf der Interlakener Unspunnenwiese stattfanden. Andererseits sind es musikalische Merkmale, die das Alphorn jodelartig erklingen lassen. Auf diesen liegt in «Alpine Vibes» ein besonderes Augenmerk:

  • Legato über grosse Intervalle und längere Motive: das Legatospiel auf dem Alphorn klingt an die Ästhetik des Jodelns an. Hierin unterscheidet sich das Alphorn von den meisten anderen Blasinstrumenten, deren traditionelle Musik oft rhythmisch und akzentuiert gespielt wird. Das bedeutet nicht, dass auf dem Alphorn alles weich und legato zu spielen ist, aber dieser Ausdruck spielt eine prägende Rolle.
  • Registerwechsel zwischen Brust- und Kopfstimme: Das Überblasen auf dem Alphorn, um auf einen anderen Naturton zu springen, kann dem Kehlkopfschlag beim Jodeln entsprechen, vor allem bei der Ausführung über grosse Intervalle.
  • Grosse Intervallsprünge, die im Jodeln häufig vorkommen, in anderen Gesangsstilen als «unsanglich» gelten, gehören auch zur Alphornmusik. Das gilt insbesondere für Epochen, in denen die Hörner wesentlich kürzer waren und weniger Naturtöne produzieren konnten, die zudem weit auseinander lagen.
  • Einige Melodien werden sowohl gejodelt als auch auf dem Alphorn gespielt. Bei solchen Stücken liegt nahe, dass sie auch von den gleichen Personen gesungen und gespielt wurden und dies auch mit einer ähnlichen Klangvorstellung und melodischen Interpretation einherging.
  • Noch nicht abschliessend erforscht ist, ob ein Zusammenhang besteht zwischen den Jodelsilben für hohe und tiefe Register und dem Klang des Alphorns – sei es in seiner heutigen Form oder in historischen Varianten.

Trotz aller Verbindungen kann festgehalten werden, dass die beiden Musiktraditionen auch unbeeinflusst voneinander koexistieren können. Ob in der Praxis das Alphornspiel als geblasener Jodel ausgeübt oder nicht damit verknüpft wird, entscheiden die Interpretierenden allein.

Box: Alpenstimmung – Alpine Vibes
Im Alpenraum sind Alphornblasen und Jodeln zentrale musikalische Traditionen und aus der kulturellen Landschaft nicht mehr wegzudenken. Damit tauchen Fragen nach ihrer musikalischen Beziehung auf: Kann das Alphornblasen als eine Form des Jodelns betrachtet werden? Beeinflusste die Naturtonreihe des Alphorns den Jodelgesang? Finden beide ihren Ursprung in den jahrhundertealten Kuhreihen, den Melodien, mit denen die Hirten ihre Kühe riefen? Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern analysierte die potenziellen Verknüpfungen zwischen beiden Musikformen und suchte nach Indizien für eine gemeinsame Herkunft. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Schweiz und erstreckte sich bis Süddeutschland und Österreich. Historische und zeitgenössische Perspektiven wurden berücksichtigt. Bei manchen Jodelformen, wie den österreichischen Wurzhorner-Jodlern, weist der Name selbst auf eine Nähe zum Instrument hin, während beim Muotataler «Bücheljuuz» die Imitation des Blasinstruments durch die Stimme so klar ist, dass beide klanglich verschmelzen. Doch nicht alle Jodelformen haben eine Verbindung zum Alphorn und umgekehrt. Die Recherche zeigt eine beständige, jedoch nicht immer konstante musikalische Beziehung zwischen Alphornmusik und Jodeln in den letzten 200 Jahren.
Im vergangenen Jahr wurde der amerikanische emeritierte Professor Gary Martin auf das Buch «Alpenstimmung» aufmerksam und übersetzte dieses unter dem Titel «Alpine Vibes» in das Englische. Er leistete die komplette Übersetzungsarbeit unentgeltlich, aus Leidenschaft für das Buch und die alpine Musikkultur. Dieses Engagement ist einzigartig und machte die Realisierung der Publikation «Alpine Vibes» möglich.
Die deutsche und englische Version des Buches kann beim Chronos-Verlag in gedruckter Form bezogen oder als E-Book (pdf) gratis heruntergeladen werden:
Alpenstimmung (2019, deutsche Originalversion): HardcoverE-Book
Alpine Vibes (2023, englische Übersetzung): HardcoverE-Book

Mehr Informationen rund um das Thema:
www.hslu.ch/alphorn-jodel

3 Kommentare

  1. Ich verstehe den Titel von „Alphorn-Jodel“ nicht ganz. Ich denke da an unsere gebräuchlichen Blasinstrumente in Ges-Stimmung. Erst seit dem ich Wurzhorner Jodel auf dem B-Büchel übe, höre ich die Verwandschaft. Der B-Büchel singt ohne meine Stimme nur mit meiner Klangvorstellung.

  2. Hallo Yannick
    Auch beim zweiten Durchlesen kommt mir der Text ein bisschen „spanisch“ vor. Ich finde wenig Übereinstimmungen mit den eigenen Erfahrungen beim Jodeln, Juuzen, Krimanchuli, oder dem Spielen auf Alphorn, Büchel, Trembita. Die Intervalle der Naturtonreihe sind immer die gleichen. Ob ich 14 oder 16 spielbare Töne finde auf dem Blasinstrument macht kaum einen Unterschied. Der Registerwechsel für die Stimme hat mehr mit der Gesangstradition zu tun. Die Gesänge in den Alpen, in den Karpaten oder im Kaukasus klingen doch sehr unterschiedlich. Gerne erinnere ich mich an ein Konzert mit Balthasar auf dem Muotathler Büchel, wo ich aufmerksam lauschen musste, ob ich den Büchel oder Juuzerin hörte.

  3. Liebe(r) Andrea und Yannik, gerne erinnere ich mich an unsere Zusammenarbeit bei der „Alpenstimmung“ . Die wechselseitige Beeinflussung zwischen Gesang und Naturblasinstrumenten konnte ich inzwischen auch in Südamerika bei den dem Alphorn verwandten Trutruka und Wakrapuku nachweisen, was in meinem in Arbeit befindlichen Buch „Naturtoninstrumente“ dargestellt werden wird.
    alphornige Grüße Franz Schüssele

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