Als Wilder bei den Kampfbläsern

Zugegeben: ich habe über Alphorn-Wettbewerbe oft den Kopf geschüttelt. Warum bloss, tun die sich das an? Warum lassen die sich von irgendwelchen Verbandsfunktionären öffentlich benoten? Warum spielen die auf einem trostlosen Fussballplatz Alphorn? Warum unterwerfen die sich diesem folkloristischen Cosplay? Und was erlauben die sich, Abweichler einfach als „Wilde“ zu bezeichnen? Anlässlich des 31. Eidgenössischen Jodlerfestes wollte ich diesen Fragen auf den Grund gehen. Dazu machte ich mich auf zur Feldforschung bei den „Kampfbläsern“ in Zug. Hier die Zusammenfassung meiner Erkenntnisse:

Die Beobachtung des Alphorn-Wettbewerbs bestätigten einen Teil meiner Erwartungen. Die Locations waren in der Tat wenig inspirierend. Echo oder Bergsicht gab es nicht – die Zuger Seepromenade mit Blick auf das Alpenpanorama nutzte das OK lieber für das kommerzielle Tohuwabohu. Neben den Vorträgen auf dem Fussballplatz liefen sogar die Baumaschinen. Etwas irritiert haben mich auch die Ansagen: Warum kann man bei einem Eidgenössischen Fest die französischen Namen der Bläser/innen und Stücke nicht halbwegs korrekt aussprechen? Aber genug kritisiert! Denn insgesamt habe ich vor allem gestaunt: die Breite der guten und sehr guten Bläser/innen war beeindruckend. Wie ein Uhrwerk getaktet liefen im Vier-Minuten-Takt die Formationen auf und spielten mit zivilisierter Tonkultur, Dynamik, Agogik und (meistens) hoher Treffsicherheit. Es war auch nicht so, dass nur ein paar langweilige Stücke eines einzelnen Komponisten aufgeführt worden wären. Die Stimmung war bei all dem ausgesprochen positiv. Verbissene Ehrgeizlinge und Tränen der Enttäuschung habe nicht gesehen, dafür viel Freude, wenn den anderen der Vortrag gelang.

Am Rand der Veranstaltung habe ich Kurzinterviews geführt. Eine Auswahl davon im Video unten. Nahezu durchgängig erhielt ich die Aussage, man mache am Wettbewerb mit, um sich dank der Feedbacks der Jury zu verbessern. Flavian Imlig, Gesamtobmann in der Jury beschrieb dies als Qualitätskontrolle; er sieht darin die eigentliche Hauptaufgabe des Verbands. Geschätzt wird von den Teilnehmenden das detaillierte Feedback. Einige betonten, dass es ja kein Wettbewerb gegeneinander sei. Wie Antoine Devènes mir erklärte, unterscheidet sich in dieser Hinsicht das Jodlerfest vom Festival International de Cor des Alpes in Nendaz. Dort herrscht ein kompetitiver Wettkampf mit einer Jury hinter dem Vorhang. Für viele verleihen die Wettbewerbe ihrer Jahresplanung Fokus und Struktur; sie setzen ein klares Ziel und motivieren zum täglichen Üben. Und schliesslich gehe es beim Jodlerfest in erster Linie um den sozialen Kontakt.

Yannick Wey erklärte mir am Stand der Hochschule Luzern, dass Wettbewerbe nicht nur bei den Alphornbläsern, sondern auch in der Blechbläser-Szene verbreitet sind. Einzigartig ist aber die Verbindung mit Schweizer „Brauchtum“. Schon das erste Unspunnenfest hatte ein kulturpolitisches Ziel – als Abgrenzung zum revolutionären Frankreich und Gegenentwurf zu seinem Prix de Rome. Gassmann erhob später im Kontext der geistigen Landesverteidigung die Teilnahme am Wettblasen zur patriotischen Pflicht (Gebot #10: „Du gehst an Feste zur ehrenhaften Auszeichnung; das ist selbstverständlich!“) . Man kann den Wettbewerb darum auch als Durchsetzungsmechanismus der schwammigen Regeln einer erst im 20. Jahrhundert erfundenen Tradition verstehen. In Zug habe ich jedoch vom national-patriotischen Überbau wenig gespürt. Selbst die Franzosen sind wieder willkommen. Abseits der Videokamera beklagte sich der eine oder die andere über die strengen Kleidervorschriften bei hochsommerlichen Temperaturen. Ansonsten blieb die Folklore farbige Verzierung im Hintergrund.

Der Besuch des Jodlerfestes hat einige Vorurteile über Bord gespült. Ich ziehe meinen Hut vor den grossen Leistungen – der Teilnehmenden, die sich dem Risiko des öffentlichen Scheiterns aussetzen, und der Freiwilligen im Verband, die mit ihrem Einsatz die Sache zum Blühen bringen. Trotzdem werden solche Feste auch künftig kaum mein Ding sein. Es braucht schon eine Affinität zum Vereinswesen, und für mich persönlich ist das Ganze zu weit weg von meiner Idealvorstellung des meditativen Alphornblasens in der Klangwelt und Stille der Berge. Nicht aus dem Sinn geht mir aber der Vorwurf, wir Wilden seien Trittbrettfahrer auf dem positiven Image des Alphorns, das der Jodlerverband über Jahrzehnte aufgebaut hat. Bin ich selbstverliebt gefangen im Narrativ des Edlen Wilden, den es eben nur als Gegenentwurf zu einem Korsett sozialer Regeln gibt? Ich werde diese Frage mit dem Büchel gegen eine steile Felswand blasen und schauen, was mir das Echo als Antwort zurückgibt.

4 Kommentare

  1. Hoi Benno
    Danke für deine Beobachtungen. Vermutlich haben wir einfach andere Klangvorstellungen als vom eidg. Jodlerverband abgesegnet. Es gab ein paar Spieler, welche mit dem Alphorn musiziert haben. Es sind keine wilden sondern aufmerksame Spielerinnen mit dem ganzen Klangspektrum. Die Bewertung vom Büchelqurtett, welches „Alphorn spielte“ habe ich nicht geschaut mir haben die Klangvorstellungen nicht gefallen.

  2. Salü Benno

    Dein Artikel kann ich nicht unbeantwortet lassen.

    Schon der reisserische Titel ist ein Blödsinn!
    Wir Alphorbläser (natürlich sind auch die Alphornbläserinnen mit eingeschlossen) sind keine Kampfbläser und die nicht dem Verband zugehörigen sind für uns keine Wilden.
    Das unterstellst du uns einfach mal.

    Deine Beobachtungen zum Fest möchte ich weiter nicht kommentieren, ergeben sie doch eine gute Zusammenfassung.

    Was ich ergänzen möchte:
    Das Alphornblasen hat einen ganz eigenen Dialekt.
    Es liegt viel näher beim Jodelgesang als bei der Blasmusik.
    Christian Schneider, Illnau schreibt in seinem Heft „Der Alphornbläser“; Alphornblasen ist „geblasener Jodel“!
    Diese Spielweise ist den Meisten leider fremd.
    Hier leistet der Eidg. Jodlerverband mit seinen Kursen vorbildliche Arbeit.

    Dass alle Vorträge auswendig geblasen wurden, hast du leider nicht erwähnt.
    Alphornblasen ist Volksmusik und Volksmusik wird auswendig geblasen.
    Das gilt für alle Instrumente und Sparten.
    Sehr viele Bläser verwenden Notenständer. Das aber hat mit Alphornblasen nichts zu tun! Das ist Blasmusik mit Alphorn.
    Wer in eine neue Sparte wechselt der passt sich normalerweise den Gepflogenheiten an.
    Das wünsche ich mir auch von Umsteigern von der Blasmusik aufs Alphorn.

    Du beschwerst dich auch wegen dem Ausdruck „Trittbettfahrer“.
    Aber warum? Genau das seid ihr doch!
    Wo wäre die Alphornszene heute ohne den Jodlerverband?
    Die Popularität des Alphorns entspringt doch den Jodlerfesten und den Anlässen welche vom Verband oder Verbandsmitgliedern organisiert werden.

    Ich wünsche dir viele schöne Büchel-Echos
    Ruedi Bauriedl

  3. Leben und leben lassen…
    Eine gute Devise für uns alle!
    Das technische Regulativ des EJV gibt klare und strenge Regeln punkto Teilnahmebedingungen bei Wettspielen der Untersektionen und EJV-Wettspielen.
    Wer jedoch kein dortig eingeschriebener Alphornbläser ist, darf ausserhalb dieser benannten Wettspiele auf dem Alphorn auch Konzerte mit verschiedenen Musikstilen darbieten – also auch jazziges, rockiges, klassisches und avantgardistisches auf dem Alphorn spielen – und gilt sehr wohl auch als Alphornspieler!
    … das wäre ungefähr so als würde man einem Italiener sagen: ‚wenn du keine Pizza isst, bist du kein Italiener !‘
    Solch ein Blödsinn würde wohl keinem halbwegs vernünftigen Menschen in den Sinn kommen!
    Also nochmals:
    Leben und leben lassen – bitte schön auch in unserer Alphornszene!
    Mit alphornmässigem Gruss
    Florian Burgener, Oberwallis

    1. Das Alphornfest in Zug ist schon eine Weile zu ende, aber Einiges stösst mir immer noch auf: Tracht tragen sollte freier intepretiert werden. Wetterbedingte angepasste Stoffe verwenden wäre von Vorteil. Der Einblasplatz war zu weit vom Auftritts Ort entfernt. Die sogenannte Festmeile war eher eine Selbstbedienungsmeile sowie stellenweise eine Saufmeile. Es kann nur besser werden im 2026 in Basel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert