Alphorn-Schalldämpfer

Da wäre noch das Problem mit den Nachbarn. Gesetzlich haben Mieter in Mehrfamilienhäuser zwar das Recht auf tägliches Musizieren. Gerichte haben unter anderem bestätigt, dass den Nachbarn 3 Stunden Geigenspiel [sic!!!] zugemutet werden dürfen. Das gilt aber nicht für besonders „laute Instrumente“. Als solche gelten gemäss Lehrmeinung Schlagzeug und Trompete. Wahrscheinlich gehören auch Alphörner dazu (das Bundesgericht hat sich dazu noch nicht abschliessend geäussert). Wer in der Mietwohnung Alphorn spielt, bekommt also Ärger.

Box: Was bedeutet „laut“?

Musikinstrumente stossen Luftdruckschwingungen aus. Die Amplitude dieser Schwingungen (das Ausschlagen der Schallwelle nach oben und unten) bestimmt den Schalldruck und damit die empfundene Lautstärke. Der Schalldruckpegel lässt sich objektiv in Dezibel (dB) messen. Ein Anstieg des Schallpegels um 10 dB nehmen wir als Verdoppelung der Lautstärke wahr.

In einem ruhigen Zimmer sind wir einem Schalldruckpegel von etwa 20-30 dB ausgesetzt. Läuft ein Fernseher in Zimmerlautstärke oder eine normale Unterhaltung, steigt der Schalldruckpegel auf etwa 50-60 dB. Auf der Tanzfläche einer Diskothek auf 100 dB. Schalldruckpegel über 85 dB sind langfristig ungesund; eine kurzfristige Belastung über 120 dB kann Gehörschäden verursachen.

Der gemessene Schalldruck eines Musikinstruments hängt von der Messdistanz ab. Üblich sind 3m; die meisten Instrumente (Horn, Saxophon, Flöte, Violine) kommen aus dieser Distanz auf 95-97 dB. Lauter sind Trompete und Posaune (um 105 dB; ähnlich Alphorn und Büchel) und Schlagzeug (>110 dB). Bei Halbierung der Distanz zur Schallquelle steigt der gemessene Schalldruckpegel um etwa 6 dB. In geschlossenen Räumen werden Lautstärke und Klang zudem durch Reflektion der Schallwellen massgeblich beeinflusst. Beim Alphorn kommt hinzu, dass Schallwellen nicht nur beim Becher austreten, sondern auch das Rohr Schwingungen an die umgebende Luft weitergibt.

Als zweitbeste Lösung (nach einem schalldichten Übungsraum oder dem Spiel in der freien Natur) bieten sich Schalldämpfer an. Auf dem Markt gibt es unterschiedliche Modelle. Oft wird in den gängigen Foren die Frage gestellt, welches davon das beste ist. Um dies ein für alle Mal objektiv zu beantworten, habe ich vier bekannte Alphorn-Schalldämpfer „wissenschaftlich“ verglichen – einen für Alphorn modifizierten Standard-Schalldämpfer, das System Yamaha Silent Brass, die Kiste von Odi / Bader und den Öko-Schalldämpfer von Kurt Ott. Dazu habe ich vor Ort Aufnahmen und Schallmessungen mit und ohne Dämpfer gemacht. Für die Aufnahmen verwendete ich ein Mikrophon mit Nierencharakteristik 1m vor dem Schallbecher und für den Raumklang ein Stereomikorophon etwa 2m neben dem Horn. Zusätzlich benutzte ich eine Schallmessungs-App via Mobiltelefon. Da jeder Schalldämpfer die Intonation beeinflusst, habe ich den Effekt vom Bass C bis hinauf ins c3 gemessen. Und ich habe meine subjektiven Eindrücke betreffend Blaswiderstand und Ansprache festgehalten. Hier meine Schlussfolgerungen.

Schalldämpfer von resunar

Stephan Kost hat einen speziellen Schalldämpfer für Alphorn entwickelt und lässt diesen unter seiner Marke resunar in Kleinserie herstellen. Das Design entspricht ähnlichen Produkten für Blechbläser, ist aber an die Form der Alphorn-Schallbecher angepasst. Optisch gleicht der Schalldämpfer einer Urne mit einem Loch im Boden; er ist überraschend dünnwändig und leicht. Auf der Website von resunar sind sechs unterschiedliche Grössen zum Preis von 248 CHF gelistet. Etwa 200 solche Schalldämpfer hat Stephan bereits verkauft.

Der Schalldämpfer macht, wofür er konstruiert wurde. Die Dämpfung ist gut. Während ich auf dem Handy beim Notenständer eine Reduktion von knapp 10dB beobachtet, zeigten die Aufnahmen vor dem Schallbecher eine Dämpfung um 22dB und das Raummikrofon um etwa 14dB.

Das Spielverhalten empfand ich als angenehm. Durch den Dämpfer steigt der Gegendruck leicht an. Trotzdem verhält sich die Dynamik linear und die Ansprach bleibt gut. Die Intonation ab c‘ aufwärts ist im Vergleich zum Spiel ohne Dämpfer wenig beeinflusst. In den tieferen Tönen habe ich eine Verzerrung um etwa 24-28 Cts gemessen – das ist klar hörbar.

Neben Lautstärke und Intonation wird durch den Schalldämpfer der Klang beeinflusst. Trompeten und Posaunen setzen ja ähnliche Modelle bewusst als Effekt ein. Hier fällt vorallem auf, dass die Obertöne stark reduziert werden. Der Klang verliert durch den Dämpfer an Brillianz und wird dumpf. Im Spektrogramm unten ist sichtbar, wie die Obertöne über 1.5kHz abgeschnitten werden (grau ohne Dämpfer, rot mit Dämpfer).

Insgesamt eine einfache und alltagstaugliche Lösung. Gute Dämpfung, verkraftbare Abstrichte im Spielgefühl. Der Dämpfer nimmt im Reisekoffer wenig Platz – die Büchse dient zB als Box für saubere Unterwäsche. Und noch ein Punkt: vorsichtig einführen – der Aludämpfer reagiert anders als der Schallbecher auf Temperaturschwankungen!

Yamaha Silent Brass

Das Yamaha Silent Brass System ist mehr als ein Schalldämpfer. Der Ton im Becher wird von einem integrierten Mikrofon aufgenommen, in einer kleinen Box (das „Personal Studio“) bearbeitet und dann über einen Kopfhörer wiedergegeben. Yamaha verwendet eine Technologie mit dem Namen „Brass Resonance Modeling“ – Frequenzen werden elektronisch neu gemischt und Resonanz hinzugefügt, um den typischen geschlossenen Dämpfer-Klang zu kompensieren.

Musik Grimm in Winterthur führt im Sortiment eine auf das Alphorn angepasste Version. Basis ist der Euphonium-Dämpfer. In sauberer Handarbeit wird darauf eine Moosgummi-Dichtung geklebt, die perfekt in den Alphorn-Schallbecher passt. Der Verkaufspreis von 555 CHF für das angepasste Gesamtsystem liegt etwa 200 CHF über dem Ursprungsmodell – m.E. ein fairer Aufpreis für Aufwand und die durchdachte Lösung. Heimwerker können ein paar Fränkli sparen.

Im Test fällt die effektive Schalldämpfung vor dem Becher auf; im Fortissimo konnte ich eine Reduktion des Schalldrucks um bis zu 28db messen. Die Dynamik entwickelt sich nicht ganz linear; irgendwo im Mezzoforte gibt der Sound plötzlich Gas. In den Raummikrofonen betrog die Dämpfung immer noch rund 15-20db; das Handy auf Notenständer-Distanz zeigt eine Reduktion um 12-14db.

Das Spielgefühl wird durch den Dämpfer wenig eingeschränkt. Die Ansprache bleibt trotz der starken Dämpfung überraschend gut, auch die leisen Noten kommen problemlos. Bei der Intonation zeigen sich ähnliche Probleme wie beim Dämpfer von resunar – etwas stärker ausgeprägt. Während die Töne oberhalb c‘ mehr oder weniger sauber intonieren, werden sie darunter um bis zu einen Halbton verzerrt. Die resultierenden Intervalle sind gewöhnungsbedürftig.

Die Modellierung des Alphornsklangs klingt auf dem Kopfhörer recht beeindruckend. Im Bassbereich kommt ein Wumm. Beim isolierten Hören zuhause bleibt der Klang etwas röhrig – das liegt wohl daran, dass das Brass Resonance Modelling nicht auf Alphörner optimiert wurde. Immerhin kann man am Personal Studio den Raumeffekt hochschrauben und damit ein etwas breiteres Spielgefühl erlangen.

Insgesamt eine Premium-Lösung mit starker Schalldämpfung. Der Umweg über die elektronische Box bietet zudem die Möglichkeit, sich selbst aufzunehmen und via Aux-Eingang Play-Alongs einzuspielen. Vorallem im Bass ist die Verzerrung der Intonation deutlich.

Öko-Schalldämpfer Swiss-Alphorn

Kurt Ott hat sich an den Intonationsproblemen der herkömmlichen Dämpfer gestört und verkauft als Resulat seines langen Tüftelns einen Öko-Schalldämpfer aus Seegras. Er gleicht einem Blumentopf, der nur ganz leicht in den Schallbecher hineinragt. Mittels Korkscheiben kann die Dämpfung angepasst werden. Kurt verkauft seinen Schalldämpfer über Swiss-Alphorn.ch zum Preis von 68 CHF.

Der Öko-Schalldämpfer kann bei der Dämpfung mit den anderen Modellen nicht ganz mithalten: Knapp 10dB vor dem Becher, 8dB auf dem Raummikrofon, 6dB auf der Schallpegel-App des Mobiltelefons. Subjektiv hatten wir vor Ort den Eindruck, dass vorallem gewisse „kritische“ Frequenzen gedämpft werden (nahe an der Eigenfrequenz des Übungsraums?). Dieser Eindruck hat sich bei der Analyse der Tonaufnahme bestätigt: vorallem die Obertöne zwischen 500-1500Hz werden reduziert.

Das Spielgefühl bleibt beim Öko-Schalldämpfer sehr gut. Die Intonation wird deutlich weniger verzerrt als bei den beiden Modellen oben. Ansprache und Dynamik sind unproblematisch.

Den erwarteten Effekt zusätzlicher Korkscheiben konnte ich nur beschränkt objektivieren: Während sich der gemessene Schallpegel pro zusätzlicher Scheibe um vielleicht 1dB reduzierte, veränderte sich vorallem die Klangfarbe und der subjektive Gegendruck.

Wenn es nicht auf effektivste Dämpfung ankommt, ist der Öko-Schalldämpfer eine „sanfte“ Alternative: Preislich günstig, geringe Verzerrung der Intonation und einfach überall mitzunehmen.

Odis Kiste

Beim Alphorn steht der Schallbecher bewegungslos auf dem Boden. Statt den Becher „zuzustopfen“ liegt es darum auf der Hand, ihn mehr oder weniger schalldicht einzumauern. Odi bietet in seinem Alphornshop zum Preis von 250 CHF eine entsprechende Kiste an. Es ist eine von Andreas Bader hergestellte, saubere, massenreiche Konstruktion aus Sperrholz mit zusätzlicher Schalldämpfung mittels Pyramid-Schaumstoff. Das Alphorn ragt durch eine Art Torbogen in die Kiste.

Im Vergleich mit den vorhergehenden Schalldämpfern bewegt sich die Dämpfung im mittleren Bereich. Vor dem Schallbecher sinkt der Pegel um etwa 18dB. Im Raum um etwa 15dB. Das Resultat hängt stark davon ab, wie der Becher hineinragt. Bei der Konfiguration im Bild oben bleiben vor dem Schallbecher etwa 20 cm freier Raum bis zur Rückwand der Kiste. Bei meinem Bärtschi Horn liegt der Fuss relativ weit hinten und dadurch bleibt der Eingang weit offen. Ich habe auch versucht, die Öffnung mit einer Decke zuzustopfen – so sind zusätzliche 6dB Dämpfung möglich – allerdings mit Abstrichen in Spielgefühl.

In der „Standard-Konfiguration“ werden Spielgefühl und Intonation fast nicht beinflusst. Die Ansprache ist praktisch unverändert und die Dynamik lässt sich problemlos variieren. So kann man auch im Duo, Trio oder der Formation üben.

Insgesamt eine simple und effektive Lösung. Wer sich an der sperrigen und immobilen Kiste im Wohnzimmer nicht stört, wird damit glücklich. Und natürlich können findige Heimwerker ihre eigenen Kartonschachteln und Hundehüttchen bauen.

Fazit

Die hier getesteten Schalldämpfer reduzieren den Schalldruck direkt vor dem Becher um rund 10-30 dB und im Raum um etwa 8-15 dB. Damit wird das „laute Instrument“ Alphorn vergleichbar mit einem Klavier. Der Schalldämpfer legalisiert das Üben in der Mietwohnung – Zweck erfüllt! Das gilt aber nur ausserhalb der gesetzlichen Ruhezeit – der verbleibende Schallpegel von 65-85 dB übersteigt weiterhin „Zimmerlautstärke“. Ob das Alphorn die Nachbarn stört, hängt auch von weiteren Faktoren ab: dem spielerischen Niveau, der Folklore-Kompatibilität der Nachbarn, der Bauqualität der Zwischenwände. Je nach Situation ist jedes zusätzliche Dezibel für die Nachbarschaftsverhältnisse relevant.

Einen klaren Gewinner unter den vier getesteten Schalldämpfern konnte ich nicht ermitteln. Das Modell von resunar entspricht dem „typischen“ Dämpfer und spielt sich (ausser im untersten Register) ohne allzu grosse Abstriche. Das Yamaha-System ist teurer und schwerer, dämpft etwas besser und bietet einen Mehrwert für Play-Alongs. Kurt Otts Öko-Schalldämpfer ist eine günstige Lösung mit schwächerer Dämpfung und weniger Verzerrung der Intonation. Odis Kiste vermittelt das beste Spielgefühl und die kleinste Verzerrung der Intonation; nicht jede/r möchte jedoch so ein Möbel im Wohnzimmer.

Was auch klar ist: Alle Dämpfer sind Hilfslösungen. Das Alphorn klingt überall dumpfer / röhriger. Am Klang lässt sich so nicht wirklich arbeiten (wohl jedoch an Ansatz, Ausdauer, Treffsicherheit, Interpretation, Agogik…). Wer ausschliesslich mit dem Dämpfer übt, wird sich beim freien Spiel jedes Mal wieder neu ans Instrument gewöhnen müssen. Aber all das ist besser, als gar nicht zu üben.

Ein Kommentar

  1. Hallo Benno

    Danke für deine Empfehlungen zum Thema Schalldämpfer. Mit Odis-Schallschluckkiste lernte ich den Blasdruck noch feiner zu dosieren. MIt dem Büchel brauche ich keinen Schalldämpfer und wage nun auch auf dem Alphorn leise zu spielen.

    Die Finessen prägen sich eh besser, mit leisem Spiel, als mit überblasen.

    Gruss Christoph

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